Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Arbeitswelt steht vor einem tiefgreifenden Umbruch. Führungskräfte müssen neue Ansätze finden, mit Unsicherheit, Tempo und Komplexität produktiv umzugehen.
  • Moderne Führung erfordert heute mehr denn je Selbstführung sowie die Fähigkeit, Sinn zu stiften, emotionale Verbundenheit zu fördern und die Mitarbeitenden für ein gemeinsames Ziel zu begeistern.
  • Junge Menschen wollen zunehmend nicht mehr führen. Unternehmen müssen neue Modelle schaffen: partizipativ, sinnstiftend, entwicklungsorientiert.

Frau Bruch, was verstehen Sie unter Leadership?

Leadership bedeutet per Definition, Menschen zu befähigen, gemeinsame Ziele zu erreichen. In den letzten Jahren ist dabei ein Aspekt besonders in den Fokus gerückt: Gute Führung beginnt bei der Führungsperson selbst – beim Umgang mit der eigenen Energie, mit dem Fokus auf ein klares Ziel und mit innerer Stabilität. Gerade weil so viele Führungskräfte erschöpft sind – gemäss einer unserer aktuellen Umfragen über 50 Prozent –, wird Selbstführung zur Schlüsselkompetenz.

Wie hat sich Leadership in den letzten Jahren gewandelt?

Die Anforderungen an die Führung haben sich drastisch verändert. Wir befinden uns in einer grundlegenden Umwälzung – ausgelöst unter anderem durch Digitalisierung, zunehmende Disruption und einen Arbeitskräftemangel.

Führungskräfte stehen heute nicht nur unter erhöhtem Druck, sondern die Anforderungen an sie erscheinen oft auch widersprüchlich, diffus oder sind schwer zu greifen. Viele geben diesen Druck an ihre Teams weiter. Inzwischen befinden sich 75 Prozent der Unternehmen in einer Beschleunigungsfalle: Das Gefühl von Überhitzung, Energiemangel oder Arbeiten am Limit ist weit verbreitet. Und das hat viel mit der Führung zu tun.

Gesunden Hochleistungsunternehmen hingegen gelingt es, mit Umbrüchen und höherem Druck positiv umzugehen. Sie schaffen eine Führungskultur, die Engagement, Erfolg, Identifikation und Wohlbefinden verbindet und so nachhaltig hohe Leistung ermöglicht.

Was bedeutet das für die Führungskräfte; wie soll moderne Führung aussehen?

Ein wichtiger Aspekt moderner Führung ist Transformational Leadership. Transformationale Führung ist emotionsorientiert und inspirierend. Sie begeistert die Menschen für die Ziele des Unternehmens. Sie zeigt ihnen den Sinn ihrer Aufgaben. So gibt sie Orientierung und Stabilität, auch in unsicheren Zeiten. Im Kern geht es darum, die Sichtweise der Mitarbeitenden so zu transformieren, dass sie sich mit den übergeordneten Zielen identifizieren, sich gebraucht fühlen und über sich hinauswachsen.

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Welche Kompetenzen braucht eine moderne Führungskraft heute?

Wir betrachten als zentrale Voraussetzungen einer guten Führung zwei Dinge: Energie und Fokus. Neben klaren Vorstellungen, wo man hinmöchte, was die Prioritäten sind, sind daher vor allem Energie und emotionale Intelligenz gefragt.

Sie sind das Fundament eines modernen Führungsstils. Über die Bedeutung von positiver Emotion und Begeisterungsfähigkeit hatten wir bereits gesprochen. Zusätzlich braucht es jedoch auch die Fähigkeit, Mitarbeitenden zu helfen, Negatives zu bewältigen.

Wie hat die hybride moderne Arbeitswelt die Führungsrolle beeinflusst?

Hybrides Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben – und das ist auch gut so. Es bietet mehr Flexibilität und ermöglicht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Doch hybrides Arbeiten muss bewusst gestaltet werden. Innovation und gelebte Unternehmenskultur entstehen vor allem im echten Miteinander vor Ort – nicht durch blosse Anwesenheit. Gleichzeitig kann Arbeiten im Homeoffice Produktivität und Effizienz massgeblich steigern.

In der hybriden Arbeitswelt ist Führung ein Schlüsselfaktor, um ebendiese Balance zwischen Effizienz- und Innovationsorientierung sicherzustellen. Zudem muss Führung emotionale Verbundenheit schaffen, auf Bedürfnisse eingehen und den Mitarbeitenden mehr Autonomie ermöglichen – denn klassische Kontrollmechanismen, ein autoritärer Führungsstil und Einflussmöglichkeiten greifen im hybriden Setting kaum noch.

Wie können Unternehmen eine starke Führungskultur etablieren?

Führungskultur entsteht durch Klarheit, Vorbilder und Dialog. Führungskräfte und Management müssen sich bewusst fragen: Welches Führungsverständnis wollen wir haben? Drei Perspektiven sind dabei zentral: Was war wichtig für unsere Erfolgsgeschichte beziehungsweise unsere Leadership-DNA? Was brauchen wir, um die gemeinsame Strategie oder Vision zu erreichen? Und drittens: Was sind Impulse aus der Forschung?

Ausserdem ist wichtig, dass das Management dieses Führungsverständnis im engen Dialog mit Führungskräften und Mitarbeitenden aus der Organisation entwickelt. Damit die Leitlinien auch gelebt werden, braucht es eine Art von Empowerment, bei dem Philosophie und Werkzeuge vermittelt werden. Und regelmässiges konstruktives Feedback, damit Leadership im ganzen Unternehmen gezielt entwickelt werden kann.

Was halten Sie davon, die Zusammenarbeit im Team gezielt mit komplementären Stärken aufzubauen?

Ich empfehle es sehr. Viele Führungskräfte glauben, alles selbst können zu müssen – das hemmt Innovation. Diversität ist eine Stärke, gerade in dynamischen Umfeldern. Unterschiedliche Perspektiven machen Unternehmen widerstandsfähiger und kreativer.

Wie schaffen Führungskräfte den Spagat zwischen Effizienz und Innovation?

Dieses Spannungsfeld lässt sich mit dem Ansatz der Ambidextrie oder Beidhändigkeit angehen. Bei ambidextrer Führung geht es darum, je nach Situation unterschiedlich zu führen: Mal steht Effizienz im Vordergrund, mal Innovation. Entscheidend ist, dass klar kommuniziert wird, in welchem Modus man gerade arbeitet – Umsetzen oder Ausprobieren. Sonst entstehen Missverständnisse. Ich verwende als Beispiel gern Porsche Motorsport: An der Rennstrecke stehen Fehlervermeidung und Effizienz an oberster Stelle, in der Fahrzeugentwicklung dagegen geht es um Kreativität, Lernprozesse und Innovation. Beides braucht unterschiedliche Führungsstile.

Wie wichtig ist eine gute Feedbackkultur und was braucht es dafür?

Um Feedback als etwas Positives anzunehmen, ist ein sogenanntes Growth Mindset sehr hilfreich: die Haltung, dass Feedback keine Kritik ist, sondern eine Chance zur Entwicklung. Hilfreich für eine Feedbackkultur ist auch sogenannte Psychological Safety oder ein geschützter Raum, in dem ehrlicher Austausch möglich ist. Das können regelmässige, offene Reflexionsrunden sein, in denen auch die Führungsebene Feedback einholt. Entscheidend ist, dass Feedback erwünscht ist, ernst genommen wird und sichtbare Veränderung bewirkt.

Viele junge Menschen wollen heute keine Führungsaufgaben mehr übernehmen. Warum?

Das ist tatsächlich ein Problem. Und es kommt daher, weil Führung oft als Belastung erlebt wird – mit viel Verantwortung, wenig Gestaltungsspielraum und hoher Erwartungshaltung. Hinzu kommt, dass sich die Einstellung zur Arbeit verändert hat, sie weniger selbstverständlich im Zentrum des Lebens steht. Klassische Karriereleitern sind für viele nicht mehr attraktiv. Deshalb müssen wir auch Führung neu denken und gestalten. Führen muss attraktiver werden: mit Sinn, echter Partizipation und mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Dazu braucht es neue Modelle wie geteilte Führungsrollen, Coaching-Programme oder flexible Verantwortungsbereiche, in die junge Talente Schritt für Schritt hineinwachsen können. Wir brauchen generationenübergreifend neue Vorbilder, die Mut machen und dazu motivieren, Führungsaufgaben zu übernehmen.

Wohin entwickelt sich Führung Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren?

Die Arbeitswelt verändert sich schneller, als viele Organisationen es abbilden können – durch technologische Innovation, veränderte Werte, gesellschaftliche Umwälzungen. Führung muss flexibler, menschenzentrierter und gleichzeitig klarer werden. Wer als Führungskraft bestehen will, muss Wandel nicht nur begleiten, sondern aktiv gestalten. Wo genau wir hinsteuern, ist schwer zu sagen, wir stehen erst am Anfang eines Umbruchs. Aber so viel ist klar: Er wird tiefgreifend sein.

Image of Roland Dysli

Heike Bruch

Professorin für Leadership und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement

Prof. Dr. Heike Bruch ist Professorin für Leadership und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St.Gallen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Leadership, Energie und Engagement sowie neue Führungs- und Arbeitsformen.