Joseph Stiglitz scheut nicht vor unangenehmen Fragen zur¨¹ck. Der Nobelpreistr?ger des Jahres 2001 war Chef?konom der Weltbank sowie Vorsitzender im Rat der Wirtschaftsberater des ehemaligen US-Pr?sidenten Bill Clinton. Ganz egal, in welcher Arena er agiert, ?Gentleman Joe? erreicht immer die Spitze. Als ?ffentlicher Redner sorgte er f¨¹r Schlagzeilen, weil er die umstrittensten Themen unserer Zeit aufgriff.

Mit schonungsloser Ehrlichkeit spricht er Themen wie den Klimawandel, Finanzkrisen, die Eurozone und die zunehmend breitere Kluft zwischen Arm und Reich an. Er ver?ffentlichte Beitr?ge in der Financial Times und wurde von fast jeder Fernsehgesellschaft weltweit interviewt. Der ?konom ist ein Vordenker, dessen scharfer Verstand mit einem hohen moralischen Standard einhergeht. Wenn er ¨¹ber die Unzul?nglichkeiten der M?rkte spricht, wird sein Engagement f¨¹r die Armen deutlich.

Joseph E. Stiglitz

Joseph E. Stiglitz

Alfred-Nobel-Ged?chtnispreis f¨¹r Wirtschaftswissenschaften, 2001

Auf einen Blick

Geboren: 1943, Gary, Indiana, USA

Fachgebiet: Makro?konomie

Ausgezeichnetes Werk: Bahnbrechende Theorie zu M?rkten mit asymmetrischen Informationen

Schrullen: Kaut beim Lesen auf seinem Unterhemd herum, stochert beim Nachdenken mit Bleistiften im Ohr

Irritierend: Spricht ?United States? wie ?United Steaks? aus

Wie kann man die Menschen ¨¹berzeugen, dass Egoismus niemandem nutzt?

Stiglitz betrachtet die Ungleichheit der Gesellschaften weltweit als Wurzel der schlimmsten Konflikte in unserer, wie er es bezeichnet, ?falsch geregelten Wirtschaft?.

Egoismus schadet sogar den Egoisten.

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Warum sollten wir f¨¹r andere Menschen zahlen?

Der ?konom weist auf das eine Prozent unserer Gesellschaft hin, das seiner Meinung nach f¨¹r die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm verantwortlich ist.

?Dazu w¨¹rde ich Ihnen gern ein Beispiel geben?, sagt er und r¨¹ckt seinen Stuhl zurecht, um sich ¨¹ber die quantitative Lockerung auszulassen. So nennt man es, wenn die Zentralbank eines Landes zus?tzliche fl¨¹ssige Mittel in die Wirtschaft pumpt. ?Ich verstehe die Motivation dazu. Aber denken Sie nur einmal dar¨¹ber nach, wie das funktioniert. Effektiv wird die Wirtschaft dabei mit Liquidit?t ¨¹berschwemmt. Tats?chlich sind die Investitionen im Verh?ltnis zum BIP geringer, was die Aktienkurse st¨¹tzt.?

?Und wer gewinnt, wenn die Aktienkurse steigen??, fragt er. ?Die Besitzer der Aktien. Wer ist das? Die Oberschicht. Und was ist mit den armen Rentnern, die im Ruhestand von Staatsanleihen abh?ngen? Ihre Renditen sind gesunken. Das ist eine Politik, die nicht zu mehr Wachstum, sondern zu einer noch gr?sseren Ungleichheit gef¨¹hrt hat.?

Wie k?nnen wir die ungleiche Einkommensverteilung ausgleichen?

Warum sind wir nicht in der Lage, Arbeitspl?tze f¨¹r diejenigen zu schaffen, die arbeiten m?chten?

Stiglitz konzentriert sich auf die Statistiken, statt auf Schlagzeilen zur gegenw?rtigen Konjunkturentwicklung.

?Die Mittelschicht in den USA verdient weniger als vor 25 Jahren?, sagt er. ?Das mittlere Einkommen einer m?nnlichen Vollzeitkraft ist niedriger als vor 40 Jahren und die Reall?hne am unteren Ende sind niedriger als vor 60 Jahren.?

Der ?konom ist ver?rgert ¨¹ber die Politiker, die von Sozialprogrammen schw?rmen. ?Diese Menschen m?chten keine Sozialleistungen. Sie m?chten f¨¹r ihren Lebensunterhalt arbeiten?, betont er.
?Doch unser Wirtschaftssystem hat sie im Stich gelassen. Sie sind zu Recht zornig.?

Wer tr?gt die Schuld an der Finanzkrise?

Stiglitz ist der Ansicht, dass dieser Zorn ¨C der Zorn derjenigen, die sich im Stich gelassen f¨¹hlen ¨C eine nat¨¹rliche soziale Reaktion auf einen Markt ist, der nicht funktioniert. Das j¨¹ngste Beispiel war die Finanzkrise von 2008. Auf die Frage, wer daf¨¹r verantwortlich ist, antwortet Stiglitz ohne Z?gern.

?Meine Theorien haben erkl?rt, warum es so wichtig ist, die M?rkte zu regulieren. Und da eines der zentralen Probleme mit dem Finanzmarkt im Sammeln von Informationen besteht, sollten wir nicht erwarten, dass der Finanzsektor gut funktioniert?, sagt Stiglitz. ?Jeder, der Geschichte studiert hat, weiss, dass sich die Banken immer wieder schlecht benommen haben. In meinen Augen tragen die ?konomen, die behauptet hatten, dass keine Regulierung n?tig sei, eine Mitschuld an der Deregulierung, die es den Banken erlaubte, sich so daneben zu benehmen.?

Paul Donovan
Paul Donovan Global Chief Economist ÃÛ¶¹ÊÓÆµ Wealth Management

Nach jeder grossen Wirtschaftskrise neigen die Menschen dazu, nach einem Schuldigen zu suchen, einem S¨¹ndenbock, dem die Verantwortung aufgeladen werden kann. So entsteht ein willkommen einfaches Narrativ mit einer praktischerweise sehr einfachen L?sung: Die eine Sache, die falsch gelaufen ist, muss behoben werden und schon kann das Problem nie wieder auftreten. Das Gef?hrliche am S¨¹ndenbockansatz ist seine Unvollst?ndigkeit. Krisen sind komplexe Ereignisse mit komplexen Ursachen. Wenn man sie nun mit einem einfachen S¨¹ndenbockansatz begr¨¹ndet, kann dies eine gef?hrliche Selbstzufriedenheit hervorrufen, wenn die anderen Ursachen der Probleme nicht beachtet werden.

Joseph Stiglitz identifiziert den Bankensektor zu Recht als Hauptursache f¨¹r die Finanzkrise von 2008/2009. Es besteht kein Zweifel, dass die Verantwortlichen bei den Banken gewaltige Fehler gemacht haben. Nun aber die ganze Schuld den Banken und ihrer Forderung nach Deregulierung zuzuschieben und auf eine k¨¹nftige Straffung der Regulierung als Bollwerk gegen zuk¨¹nftige Krisen zu hoffen, d¨¹rfte eine gef?hrlich enge Interpretation der Faktoren sein, die zu dieser Krise gef¨¹hrt haben.

Die Idee, dass die Banken zusammen das gemeinsame Ziel der Deregulierung angestrebt h?tten und dies zu der Krise gef¨¹hrt habe, deutet auf einen Grad der Zielstrebigkeit und Koordination hin, den es einfach nicht gibt, wie jeder best?tigen kann, der schon einmal bei einer Bank gearbeitet hat. Die Banken w¨¹nschten sich eine Deregulierung, doch viele Politiker waren aus ideologischen Gr¨¹nden ebenfalls daf¨¹r. Der Kreditzyklus unterst¨¹tzte den Wohlstand, und Wohlstand ist aus politischer Sicht immer gern gesehen. Tats?chlich gingen die Politiker in den Jahren vor der Krise so weit, Banken zu bestrafen, die nicht genug getan hatten, um Kredite an einkommensschwache US-B¨¹rger zu vergeben. Den Banken wurde gesagt, sie sollten aufh?ren, ?unvern¨¹nftige Massst?be der Kreditw¨¹rdigkeit zu verwenden?. Banken, die keine Kredite an bestimmte einkommensschw?chere Bev?lkerungsgruppen vergaben, drohten Geldstrafen.

Neben den Politikern m¨¹ssen zwei weitere Gruppen eine Mitverantwortung ¨¹bernehmen. In den Jahren vor der Finanzkrise sprachen sich die Medien (vor allem die Finanzmedien) aggressiv f¨¹r den Einsatz von Fremdmitteln aus und straften alle ab, die eine konservativere Bankpolitik verfolgten. Da Medienberichte ¨C ungeachtet ihrer Richtigkeit ¨C Auswirkungen auf den Aktienkurs eines Unternehmens haben, wurde das Management von Banken nach einem Standard beurteilt, der eine gr?ssere Risikobereitschaft bevorzugte. Das Verhalten der Gesch?ftsleitungen von Banken wurde von diesem Klima gepr?gt.

Wenn man schliesslich die Kreditnehmer selbst betrachtet, stellt man fest, dass einige von ihnen m?glicherweise unrealistisch hohe Betr?ge aufgenommen haben. Und obwohl dies m?glicherweise durch den gesellschaftlichen Druck und die wachsenden Einkommensunterschiede versch?rft wurde, sollten auch sie einen Teil der Verantwortung ¨¹bernehmen.

Trotz allem ist nicht zu leugnen, dass die Banken und die begrenzte Regulierung zusammengewirkt haben, um diese Krise hervorzurufen. Ein Ansatz, der sich ausschliesslich auf den Bankensektor konzentriert und andere Faktoren ausser Acht l?sst oder entlastet, ist jedoch mit der Gefahr verbunden, eine weitere Krise heraufzubeschw?ren. Medien und Politiker haben die Banken dazu gedr?ngt ¨C m?glicherweise ¨¹berh?hte ¨C Risiken einzugehen. Die Gesellschaft trieb die Kreditnehmer dazu, unrealistisch hohe Betr?ge aufzunehmen. Eine etwas breitere Beurteilung der Ursachen der Krise, als sie Joseph Stiglitz anbietet, w?re angemessen.

Welche Rolle spielten ?konomen in der Finanzkrise?

K?nnen wir eine weniger ungleiche Welt schaffen?

Stiglitz glaubt nicht, dass es eine schnelle L?sung f¨¹r die Wirtschaft gibt. Es gibt jedoch eine Agenda, die die Wirtschaft wieder auf einen starken Wachstumskurs bringen kann. Da immer mehr benachteiligte B¨¹rger ihre Hoffnungen auf rechte Parteien setzen, ist dies n?tiger als je zuvor.

Wir haben einst die Regeln gemacht, die die Wirtschaft ungerechter machten, sagt er. ?Nun m¨¹ssen wir sie umschreiben, um sie wieder gerechter zu machen.?

?Wir m¨¹ssen die Verhandlungsrechte der Arbeitnehmer st?rken, die Macht der Unternehmen beschneiden und eine bessere Corporate Governance schaffen?, fordert er. ?Ausserdem muss die Macht des Finanzsektors einged?mmt werden. Dieser ist von 2,5 Prozent auf 8 Prozent des BIP gewachsen ¨C ohne Beleg f¨¹r eine Steigerung der Produktivit?t unserer Wirtschaft als Ganzes, aber mit zahlreichen Anzeichen einer gr?sseren Instabilit?t und Ungleichheit.?

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Wo kommt diese Stimme f¨¹r die Armen her?

Joseph Stiglitz kam 1943 zur Welt, nur wenige Jahre nach der Weltwirtschaftskrise. Seine Kindheit verbrachte er in Gary, Indiana, einer armen Industriestadt, die von Rassendiskriminierung, starker Ungleichheit und phasenweiser Arbeitslosigkeit gepr?gt war. Seine Eltern ermutigten ihn, etwas zu tun, was allen Mitgliedern der Gesellschaft zugutekommen w¨¹rde.

Joseph Stiglitz
Hochschulportr?t von Stiglitz 1953-1954

Stiglitz qualifizierte sich f¨¹r ein Vollstipendium am Amherst College, wo er sich urspr¨¹nglich der Physik verschrieben hatte. Sp?ter erkannte er jedoch, dass er mit einem Wirtschaftsabschluss die besten Aussichten haben w¨¹rde, etwas gegen die soziale Ungleichheit zu tun. So begann er am elit?ren Massachusetts Institute of Technology an seiner Doktorarbeit zu arbeiten.

Nach dem Studium und nachdem er Rezessionen, Depressionen und Finanzkrisen durchlebt hatte, schaffte es Stiglitz, die Annahme, dass die M?rkte immer funktionieren, zu widerlegen. Den Grund daf¨¹r sieht er in der unvollst?ndigen oder asymmetrischen Information ¨C mit anderen Worten: M?rkte, an denen eine Partei ¨¹ber bessere oder mehr Informationen verf¨¹gt als die andere. Dies ist nach der Ansicht von Stiglitz einer der Hauptgr¨¹nde f¨¹r die wirtschaftliche Ungleichheit. Seine Forschungsarbeit trug ihm im Jahr 2001 den Nobelpreis ein, den er mit George Akerlof und Michael Spence?teilte. Zusammen definierten sie eine alternative Denkrichtung, die das Gebiet grundlegend ver?nderte.

Beruhte die Wirtschaft auf Betrug?

Ist die Globalisierung f¨¹r die Not vieler Menschen verantwortlich?

Mithilfe seines nobelpreisgekr?nten Rahmenwerks deckte Stiglitz weitere L¨¹cken im System auf und fand m?gliche L?sungen, um sie zu schliessen. Er wechselt zwischen dem Studium der Mikro?konomie und der Makro?konomie hin und her. ?Verschiedene L?nder befinden sich in unterschiedlichen Situationen und wir brauchen grundlegende Normen, die ¨¹berall gelten?, sagt er.

?Entwicklungsl?nder m¨¹ssen in der Lage sein, ihre Entwicklung voranzutreiben. Daher brauchen wir meiner Meinung nach globale Regeln f¨¹r den Klimawandel, um zu sagen, wenn ihr die Umwelt verschmutzt, k?nnt ihr keinen Handel treiben. Ihr k?nnt uns keine G¨¹ter verkaufen, die in Fabriken produziert wurden, die zur globalen Erw?rmung beitragen.?

Wie k?nnen wir daf¨¹r sorgen, dass alle von der Globalisierung profitieren?

Wenn man Stiglitz fragt, wie er es schafft, die verschiedenen Probleme unserer zuk¨¹nftigen Wirtschaft im Auge zu behalten, verweist er auf einen entscheidenden Augenblick in seinem Leben. Washington D.C., 28. August 1963. Stiglitz war einer von 250 000 Menschen, die vor dem Lincoln Memorial standen, um Martin Luther Kings ber¨¹hmte Rede ?I have a dream? zu h?ren.

?Das war so ein bewegender Moment ¨C ein Moment, nicht nur eine Rede ¨C es war ein Moment des Glaubens an die amerikanische Demokratie.? Der ?konom wird jedoch nachdenklich, wenn er einr?umt, dass Kings Traum immer noch nicht Wirklichkeit geworden ist. ?Ich glaube nicht, dass er vollst?ndig erkannt hat, wie schlimm die Lage in Bezug auf das wirtschaftliche Gef?lle werden w¨¹rde. Seine Rede ist in gewisser Weise ein Markstein in unserer Geschichte und etwas, das wir uns alle vor Augen halten m¨¹ssen, wenn wir dar¨¹ber nachdenken, wie es mit unserem Land weitergehen soll.?

Was ist das Wichtigste, was die Menschen lernen m¨¹ssen?

Dieser Moment der emotionalen Reflexion wird schnell von seinem Assistenten unterbrochen ¨C der n?chste Punkt in seinem Terminplan ist ein Treffen mit einigen anderen Professoren. Der Workaholic nutzt diesen letzten Augenblick, um der j¨¹ngeren Generation einen Ratschlag zu erteilen und eine wichtige Botschaft weiterzugeben, die er von seinen Eltern erhalten hat.

Erstens sagten sie ?Geld macht dich nie gl¨¹cklich?. Zweitens sagten sie ?Gott hat dir einen klugen Kopf gegeben. Nutze ihn.? Und das Dritte, was sie sagten war ?Stell dich in den Dienst der anderen?.

Sind diese Worte die Grundlage seines Erfolgs? ?Ich sch?tze, es war eine Mischung aus Idealismus?, sagt er l?chelnd. ?Wichtig war, was man tat und welche Ideen man vertrat. Und vielleicht auch ein bisschen Selbst¨¹bersch?tzung.?

Warum sollten L?nder bessere Wege finden, um zu wachsen?

H?ren Sie dazu die Meinung von Michael Spence und wie L?nder nachhaltiges Wachstum generieren und dabei langfristig einen positiven Effekt erzeugen k?nnen.

Webinar-Reihe ÃÛ¶¹ÊÓÆµ Nobel Perspectives

Joseph Stiglitz wirkte an unserem zweiten Webinar der Reihe ÃÛ¶¹ÊÓÆµ Nobel Perspectives mit. In diesem Webinar sprach er mit Evan Brown, Head of Multi-Asset Strategy, eingehend ¨¹ber die Auswirkungen der Pandemie und was dies f¨¹r Anlegerinnen und Anleger bedeutet.

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