
In eigener Sache: Wir freuen uns, Michael Bolliger als neuen Chief Investment Officer Schweiz vorzustellen. Er wird im Rahmen des ?Gedanken der Woche? mit Ihnen Marktentwicklungen besprechen und gezielte Anlagestrategien für Schweizer Anlegerinnen und Anleger teilen. Daniel Kalt bleibt Chef?konom und bietet weiterhin pr?gnante makro?konomische und politische Analysen und Prognosen sowie Einblicke in die Schweizer Wirtschaft.
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Das gilt auch für die US-Zollpolitik. Obwohl die Schweiz am 1. August mit hohen US-Zolls?tzen abgestraft wurde, blieb eine vehemente Reaktion an der B?rse aus: Der SMI beendete den Handelstag mit einem Minus von 0,2 Prozent. Zur Erinnerung: Als Pr?sident Trump am 2. April die ?reziproken? Z?lle ankündigte, verlor der Index in den folgenden Tagen fast 15 Prozent. Unternehmen, Anlegerinnen und Anleger sowie Politiker lernen also immer besser, wie die teils unberechenbaren Zollankündigungen einzuordnen sind und bereiten sich gleichzeitig auch auf die Auswirkung von h?heren Z?llen vor.
Die Frage, wer ?schuld? an dem wenig vorteilhaften Ergebnis ist, wurde in der Sonntagspresse bereits ausführlich diskutiert. Wir finden folgende Erkenntnisse wichtig(er):
Die Schweiz ist als exportabh?ngige Volkswirtschaft st?rker gegenüber US-Z?llen exponiert als viele andere L?nder und hat bei den Gütern einen sehr hohen Handelsüberschuss gegenüber den USA. Dafür sind zu einem wesentlich Teil Pharma- und Goldexporte verantwortlich, aber auch die Maschinen-, Luxusgüter- und Uhrenindustrie.
Für ein kleines Land k?nnen die Verhandlungen schwieriger sein, auch weil Vergeltungsandrohungen weder wirklich glaubhaft noch wirksam sind. Massnahmen wie die chinesischen Exportrestriktionen von Seltenen Erden, die die US-Rüstungs- und Technologiekonzerne unmissverst?ndlich auf die Verwundbarkeit ihrer Lieferketten aufmerksam gemacht haben, sind für die Schweiz nicht m?glich.
Eine gesunde Portion Pragmatismus hat andernorts zu zwar nicht grossartigen, aber doch mehr oder weniger akzeptablen Ergebnissen geführt. In der EU liegt die Kompetenz über ausl?ndische Direktinvestitionen oder Rüstungs- und Energieimporte bei den Mitgliedsstaaten und Unternehmen und nicht bei der EU-Kommission. Dies hat die Kommissionpr?sidentin aber nicht davon abgehalten, weitreichende Kauf- und Investitionsabsichten zu signalisieren. Wir denken, dass die Schweiz in diesem Bereich noch Luft nach oben hat. Entsprechend sind wir zuversichtlich, dass sich die US-Z?lle schlussendlich auf einem tieferen Niveau einpendeln werden.
Die relativ beschr?nkte Reaktion der Schweizer B?rse legt nahe, dass Anleger Verhandlungsfortschritte vorwegnehmen. Gleichzeitig zeigt sie aber auch, dass die M?rkte mittlerweile besser verstehen, wie sich die Z?lle auf die Unternehmen auswirken. Gerade die b?rsennotierten Unternehmen im SMI sind global aufgestellt und erwirtschaften über 90 Prozent ihres Umsatzes und Gewinns ausserhalb der Schweiz, ein Drittel davon in den USA. Ihre Zollbelastung ist darum deutlich tiefer. Zudem produzieren sie rund zwei Drittel ihres US-Umsatzes vor Ort. Und die Unternehmen sind in der Lage, sich besser an die neuen Gegebenheiten anzupassen, auch durch h?here Preise oder tiefere Margen für US-Konsumenten beziehungsweise Importeure. Taktische Anleger k?nnen also durchaus versuchen, allf?llige weitere Kursschwankungen zu ihren Gunsten zu nutzen.
Eine Lokalisierung von Liefer- und Produktionsketten ist aber nicht für jedes Unternehmen m?glich und auch bezüglich Branchen bestehen grosse Unterschiede. Die ungleiche Behandlung einzelner L?nder und Industrien dürfte mittelfristig zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Weiter gilt es zu beachten, dass die Z?lle mittlerweile deutlich h?her sind als vor wenigen Quartalen. Die Schweizer Wirtschaft mit ihren vielen erfolgreichen kleinen und mittleren Unternehmen wird also deutlich st?rker vom Zollstreit betroffen sein als die Grossunternehmen im SMI. Entsprechend gehen wir davon aus, dass kurzfristig durchaus mit einer weiteren Abschw?chung der Konjunktur zu rechnen ist – sowohl in der Schweiz wie auch global. Das ist kein Grund zur Panik, aber ein wichtiger Anlass, die Diversifikation Ihres Portfolios genau zu überprüfen.
Für Anleger bleiben schlussendlich zwei wichtige Erkenntnisse: Erstens sollten sie sich kurzfristig auf eine Periode mit h?herer Volatilit?t vorbereiten. In solchen Phasen lohnt es sich oft, weiter regelm?ssig zu investieren, das Portfolio aber defensiver auszurichten und sicherzustellen, dass es optimal diversifiziert ist. In der Vergangenheit haben sich Dividendenaktien oder Qualit?tsaktien in Zeiten langsamen Wachstums und von Unsicherheit besser entwickelt als der breitere Index. Strukturierte Strategien, wie beispielsweise Reverse Convertibles oder Covered-Call-Strategien, sind unseres Erachtens in diesem Umfeld ebenfalls attraktiv. Zweitens glauben wir, dass das Risiko für eine gr?ssere Finanzkrise moderat bleibt, nicht zuletzt weil die Welt lernt, besser mit der neuen US-Wirtschafts- und Handelspolitik umzugehen.
Im Nachhinein ist man halt oft schlauer. Auch wenn es zwischenzeitlich mal wieder laut wird.